„Es gab Momente, wo ich nicht mehr wollte“

Carolina Atria erzählt über ihre Erfahrungen beim Erstellen ihrer vorwissenschaftlichen Arbeit zum Thema „Dissoziative Identitätsstörung aufgrund traumatischer Erlebnisse“.

Literacy.at: Wie bist du auf dein Thema gekommen, wurdest du bei der Themenfindung beraten?
Carolina Atria: Ich wollte von Anfang an ein Thema aus dem Bereich der Psychologie nehmen, weil ich das Gebiet für einen angenehmen Einstieg in die Wissenschaft halte (die Texte sind kompliziert, aber man braucht kein Studium, um sich zurecht zu finden). Ich habe angefangen, mich in Literatur einzulesen, wobei mein Ausgangspunkt das psychische Trauma war. Für die Findung meines eigentlichen Themas und der Formulierung des Titels, war mein Kriterium im Nachhinein eher oberflächlich: es sollte sich kompliziert und beeindruckend anhören.

Wenn du nicht über dieses Thema geschrieben hättest, welches wäre es dann geworden?
Meine zweite Themenidee wäre in eine ganz andere Richtung gegangen, ich hätte mich mit der politischen Vergangenheit Chiles auseinandergesetzt – einem Land, aus dem meine Familie stammt. Ich bin damals vom Thema abgekommen, da es schwierig war eine Lehrkraft zu finden, die sich mit einem so ungewöhnlichen und vor allem spezifischen Thema auseinandersetzen wollte, auch weil die Literatur großteils nicht auf Deutsch gewesen wäre. Leider wird das Vorhandensein von Literatur oft unterschätzt, vor allem, da auch der Zugang zu Fachbüchern oft nicht ganz einfach ist.

Deine Meinung: Das Thema eher allgemein halten oder lieber eng ziehen?
Ich würde Themen immer enger gestalten, da man sonst mit der Zeichenobergrenze in Konflikt gerät. Außerdem kann man bei kleineren Themen so richtig ins Detail gehen und auch auf Grundlagen eingehen, die bei größeren, oberflächlicheren Themen oft verlorengehen.

Wann hast du mit der VWA begonnen?
Begonnen ein Dokument zu erstellen und mir Bücher zu besorgen? Am Ende der Sommerferien.
Begonnen richtig zu schreiben? Leider erst im Winter. Meine Methode – die sich bestimmt nicht für alle SchülerInnen eignet – war praktisch eine Woche durchzuarbeiten. Allerdings hat es mir extrem geholfen mich schon monatelang durch das Lesen der Bücher mit dem Thema beschäftigt zu haben.

Welche Arbeiten zur VWA sollten SchülerInnen deiner Erfahrung nach bereits in den Sommerferien erledigen?
Ich glaube es ist unglaublich wichtig in den Sommerferien zu lesen. Egal, ob man dann tatsächlich schon schreibt oder nicht, kann es gerade bei natur- und sozialwissenschaftlichen Fächern sehr helfen, wenn ein möglichst großer Teil der Materie über einen längeren Zeitraum einfach präsent ist. Wenn man sich dann nämlich hinsetzt und wirklich schreibt, hat man oft ein besseres Verständnis und kann einen eigenen Text verfassen, anstatt nur Absätze aus Bücher umzuformulieren.

War es schwierig für dich, die Termine zu halten?
Nein, wobei mein Betreuer und ich nicht allzu viele Termine hatten. Die Termine waren lang genug im vorhinein geplant, sodass kein Stress für mich entstand. Ich glaube dass eine gute Kommunikation zwischen BetreuerIn und SchülerIn extrem wichtig sind, weil ja auch die Benotung der Arbeit davon abhängt. Deshalb würde ich jedem raten, sich an die vereinbarten Termine zu halten.

Welche Aufgabe kam deinem Betreuungslehrer zu? Fühltest du dich gut betreut?
Ich hatte das Glück einen entspannten Betreuer zu haben, der mir relativ freie Hand ließ. Dadurch konnte ich in meinem eigenen Tempo die VWA verfassen und sie ihm in den Weihnachtsferien beinahe fertig zukommen lassen. Ich glaube, dass SchülerInnen bei der BetreuerInnenwahl darauf achten sollten, wie sie miteinander zurecht kommen. Natürlich muss vor allem das Thema passen, aber wenn sich LehrerIn und SchülerIn nicht gut verstehen, kann der eigentlich schöne Prozess des Sich-voll-auf-ein-Thema-Einlassens sehr viel anstrengender werden.

Welchen Bereich des Arbeitens hast du am schwierigsten empfunden?
Formal hatte ich wahrscheinlich am meisten Probleme mit dem Formatieren und Zitieren, vor allem, da ich einige Bücher nicht mehr hatte. Also rate ich allen SchülerInnen, sich sofort Seitenzahlen zu notieren, wenn man fremde Gedanken verwendet. Sonst war auch der Übergang zur wissenschaftlichen Sprache anfangs schwierig, da ich jedenfalls in der Schule immer eher erzählend geschrieben habe und mich erst an die rein objektiven Formulierungen gewöhnen musste.

Hast du es während des Arbeitens bereut, dieses Thema ausgewählt zu haben?
Absolut! Da meine VWA eine starke psychische Störung beschreibt, gab es viele Momente, in denen ich keinen einzigen Fallbericht mehr lesen wollte. Es gab Augenblicke, in denen ich es für unverantwortlich gehalten habe, dass mein Betreuungslehrer mein Thema annahm. Der schlimmste Moment war für mich das Übersetzen eines Erlebnisberichts, den ich in 1. Person verfassen musste. Eine schreckliche Lebensgeschichte aus der Ich-Perspektive aufzuschreiben, war deutlich emotionaler als gedacht. Aber für jeden Moment, in dem ich meine VWA abbrechen wollte, gab es mindestens eine Beschreibung einer erfolgreichen Therapie, die mir wieder ins Gedächtnis riefen, warum es wichtig ist, über solche Themen zu schreiben und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Welche Tipps kannst du zur Präsentation der VWA geben?
Sie immer und immer wieder mit einer Stoppuhr aufsagen. Im Moment der Präsentation ist man extrem nervös und mir jedenfalls hat es unglaublich geholfen, dass ich die erste Minute meiner Präsentation auswendig kannte (ich habe mit einem Gedicht begonnen und dann erst die Kommission begrüßt). Außerdem hilft es, möglichst vielen Menschen im Vorhinein die Präsentation samt formaler Begrüßung vorzutragen, um sich die Angst vor der Situation zu nehmen.

Dein persönlicher Tipp für alle, die ihre VWA noch vor sich haben?
Nehmt ein Thema, dass euch wirklich interessiert. Es erleichtert einem die Arbeit enorm, wenn man das eigene Thema so spannend findet, dass man gar nicht mehr aufhören will davon zu erzählen. Nehmt ein Thema, dass euch begeistert, weil ihr über die Zeit, die es dauert eine VWA zu schreiben, viel Begeisterung brauchen werdet. Und vor allem, genießt die Präsentation: ihr wisst in diesem Moment so viel über euer Thema und dürft es Menschen erzählen, die vielleicht noch nie darüber nachgedacht haben.