„Großzügig planen – und das von hinten nach vorne“

Birgit Peterson ist Trainerin für kreatives und wissenschaftliches Schreiben. Im Interview gibt sie Tipps, wie man die eigene vorwissenschaftliche Arbeit am besten projektiert und dafür den richtigen Zeitplan erstellt.

Interview: Michael Achleitner

Wie wichtig ist ein gutes Zeitmanagement beim Erstellen der VWA?
Birgit Peterson: Da die VWA das erste große Schreibprojekt ist, das sich Schülerinnen und Schüler selbst einteilen müssen, ist das Zeitmanagement wichtig. Besonders weil anfangs meist nur auf das Schreiben selbst fokussiert wird, aber für das Planen, Überlegen und Gliedern vor dem Schreiben und das Überarbeiten danach zweimal so viel Zeit wie für das Schreiben eingeplant werden muss.

Je detaillierter ich mein Zeitmanagement plane, desto besser die Arbeit?
Generell ja, ich würde aber – bei einer VWA – gar nicht so sehr die Zeit selber planen, weil es einfach schwer ist, gut zu planen, man hat ja noch nie eine vorwissenschaftliche Arbeit geschrieben. Deshalb ist für mich auch das Projektmanagement das wesentliche Planungstool. Zuerst sollte man die groben Dimensionen festsetzen und sich Deadlines für die wichtigsten Abschnitte überlegen.

Wie geht man diese Projektplanung an?
Zuerst muss ich dimensionieren, wie groß das Projekt sein soll:

  • Welches Thema möchte ich bearbeiten? Was will ich genau herausfinden?
  • Dann beschreibe ich, wie ich das mache und womit (Literaturarbeit, Methode, ...).
  • Dann habe ich Ergebnisse, die ich festhalte.
  • Dann kommt die Diskussion. In diesem Kapitel schreibe ich darüber, was die Ergebnisse eigentlich bedeuten. (Ist das jetzt die Antwort auf die Frage oder auf jene? Entspricht das Ergebnis einer Theorie oder der anderen?)
  • Und dann kommen noch Zusammenfassung und Einleitung hinzu.

Das ist es. Und diese Bereiche teile ich auf meine beispielsweise 16-seitige VWA auf. Also wie viele von meinen ca. 16 Seiten möchte ich für die Einleitung, wie viele für die Definition von XY verwenden, wie viel für die Methodenbeschreibung und so weiter. Später kann ich immer noch etwas herumschieben und umgewichten, aber das ist einmal die Grobeinteilung.

Für die Aufteilung der Arbeit fein, aber wie komme ich zu einem zeitlichen Rahmen?
Indem ich ausprobiere, wie lange ich beispielsweise brauche, um eine Seite zu schreiben oder eine Seite zu überarbeiten. Das ist gerade bei Schreibanfängerinnen und -anfängern wichtig. Wenn ich weiß, dass ich für den Bereich X drei Seiten vorgesehen habe und dafür vermutlich Y Tage benötige, komme ich zu einer realistischeren Deadline, als wenn ich einfach hergehe und den Kalender in Portionen aufteile.

Und wenn man mit der geplanten Zeit dennoch nicht auskommt?
Dann muss man so ehrlich sein und sich nicht ins Fäustchen lügen, sondern sagen, ja, ich habe das so geplant, aber ich merke schon, ich brauche etwas länger, und muss dann auch den Zeitplan wieder umstellen. Kaum ein Projekt läuft genauso ab, wie es geplant wurde, deshalb entwirft man ein „Best case”- und ein „Worst case”-Szenario, einen Plan B sozusagen. In diesem Plan B werden zuvor definierte Bereiche, die zwar interessant, für die VWA aber nicht wirklich notwendig sind, ausgeklammert. Damit schafft man sich Pufferzonen.

Auch Pufferzonen sind einmal ausgereizt, und gerade bei der VWA gibt es ja auch Abgabetermine, die man einhalten muss.
Deshalb schlage ich vor, den Zeitplan von hinten nach vorne aufzustellen. Es gibt eine Deadline, zu der die Arbeit fertig sein muss. Dann gebe ich mir als Erstes einen großen Puffer, denn ich weiß nicht, was passiert, Dinge können länger dauern als erwartet. Vor diesem Puffer lege ich meine persönliche Abschluss-Deadline fest, zu der ich die Arbeit komplett fertig haben möchte, also geschrieben, überarbeitet und korrigiert, aber auch formatiert und gelayoutet. Davor setze ich die Deadline für das Okay der Betreuerin bzw. des Betreuers zur Abgabe der Arbeit. Bis dahin ist aber meist noch einige Arbeit zu tun: die Überarbeitungsphase. Wieder davor, damit ich überhaupt überarbeiten kann, muss ich irgendetwas produziert haben, was ich meiner Lehrkraft zeigen kann, und so geht die Zeitplanung immer weiter zurück: Wann muss der Text meiner Arbeit fertig sein, damit sich die Lehrkraft das noch anschauen kann? Wann muss ich alles gelesen haben, um darüber schreiben zu können? Oder bei praktischen bzw. empirischen Arbeiten: Wann muss ich die letzten Interviews gemacht haben, damit ich sie noch transkribieren und darüber schreiben kann?

Und wenn ich dabei schon sehe, dass ich die VWA im vorgegebenen Zeitrahmen nie fertig bekommen werde?
Die meisten VWAs haben das Ziel, die Welt zu erklären, was nicht der Sinn ist. Man soll nur zeigen, dass man ein Detail ausarbeiten kann, und das ist dann auch das überzeugende Argument, zu sagen: Wollen wir das nicht weglassen? Dadurch habe ich von Anfang an schon eine realistische VWA-Größe und eine realistischere Zeitplanung. Wenn ich merke, ich hinke meinem Zeitplan hinterher, kann ich auf den definierten Plan B zurückgreifen. Eine kleine, gute Arbeit ist besser, als eine umfangreiche, in der aber keine Zeit mehr bleibt, die gewonnenen Erkenntnisse vernünftig aufs Papier zu bringen.

Es gibt aber Menschen, die funktionieren nicht nach Listen und Planprinzipien.

Auch für diese Menschen gibt es Strategien:

  • Großzügig planen. Wenn ich weiß, dass ich eher nicht so gut im Einhalten meiner Deadlines bin, dann plane ich mehrere Zeitoptionen ein, vielleicht nutze ich dann wenigstens eine davon.
  • Nicht zu viel alleine arbeiten. Die Wiener Tradition „Schreiben im Kaffeehaus” hat einen Grund. Man setzt sich beispielsweise mit drei Freundinnen und Freunden zusammen und arbeitet jeweils an seinen Projekten, macht zwischendurch Pausen, in denen man sich auch mal über die Arbeit „auskotzen“ kann, und dann macht man etwas Nettes zusammen. Das ist gerade für Menschen, die sich zu Hause nie motivieren können sich hinzusetzen einer der besten Tipps.
  • Mehrere Alternativen an To-dos. Wenn ich sage, ich mache morgen genau das, dann geht das oft nicht, wenn ich aber mehrere Wahlmöglichkeiten habe, funktioniert meist eine.
  • Die Belohnung danach, aber auch die Belohnung davor! Man soll sich für jede kleine Geschichte belohnen, nicht nur für Milestones. Was ich auch ganz nett finde: Wenn ich mich nicht motivieren kann zu arbeiten, dann belohne ich mich durchaus vor dem Arbeiten und gönne mir etwas, um mich zum Schreiben zu motivieren.
  • In der Kürze liegt die Würze. Die Zeiteinheiten für das Arbeiten können relativ kurz gehalten werden – eine fokussierte halbe Stunde reicht völlig und ist besser als ein unproduktiver Nachmittag.
  • Realistisch planen. Angenommen, man schafft diese Woche das Schreiben der vorgenommenen drei Seiten nicht, sondern nur eine: Dann begehen viele den Fehler, die zwei nicht erledigten Seiten auf die nächste Woche zu schieben, in der sie dann halt fünf Seiten schreiben müssen. Wenn ich in dieser Woche aber nur eine Seite geschafft habe, ist es unrealistisch, in der nächsten fünf Seiten zu schreiben.
  • Lehrkräfte kontaktieren. Wenn der Zeitplan nicht eingehalten wird, sprecht mit euren Lehrkräften! Denn die sind nicht dazu da, um zu schimpfen, sondern um zu hinterfragen, warum es nicht geklappt hat und was man denn ändern könnte. Betreuungspersonen sind nicht nur zum Kontrollieren, sondern eben zum Betreuen da. Wenn etwas nicht klappt, ist das ein Grund, zu ihnen zu gehen und um Hilfe zu bitten.

Verzögerungen im Zeitplan werden häufig auch auf Schreibblockaden zurückgeführt. Ist an dem alten Geniekult „Schreiben kann man, oder eben nicht“ etwas dran?
Nein. Schreibblockaden können in jedem größeren Schreibprojekt einmal vorkommen. Da muss ich mich nicht schrecklich fühlen und den Kopf in den Sand stecken, sondern sagen, so geht es nicht weiter, und mir Tools suchen, die mir dabei helfen, über diese Hürde hinwegzukommen. Da gehört „Schreiben als Handwerkszeug“ dazu. Das bedeutet: Obwohl es immer Menschen gibt, die besser schreiben können als andere, bleibt das Schreiben ein Handwerk, das man erlernen kann. Ich muss nur wissen, wann ich welches Werkzeug in die Hand nehme. In meinem neuen Buch „Die 99 besten Schreibtipps“ (siehe Kasten rechts) versuche ich solche Werkzeuge zur Verfügung zu stellen.